Gayret Kemeri ~ was tatsächlich hinter dem Hochzeitsbrauch des roten Brautgürtels steckt

Ich erhalte immer wieder Mails zum „roten Brautgürtel“, ein rotes Band, welches bei türkischen Hochzeiten der Braut traditionell am Hochzeitstag während der Brautabholung umgebunden wird. Für einen Großteil der Leute hat dieses rote Band nur eine Bedeutung, nämlich die Garantie für die Jungfräulichkeit der Braut und so scheiden sich bei dieser Tradition viele Geister.

Manche Bräute lehnen es ab, weil sie „nicht zur Schau gestellt werden“ wollen, manche fragen mich, wie schlimm es ist, wenn sie ihn nicht tragen, ob dann die Familie beleidigt sein wird und andere protestieren gegen diese – aus ihrer Sicht – symbolische Unterdrückung der Frau. Die meisten haben jedoch kaum Wissen über die Entstehung und Idee hinter diesem Brauch und reduzieren ihn auf eine einzige Bedeutung.

Die Bedeutung des Gayret Kemeri – dem roten Brautgürtel

Im Volksmund heißt das Band „Gelin kemeri“, also Brautgürtel, doch der eigentliche Name ist „Gayret kemeri“ und dieser verrät schon worum es bei dieser Tradition ursprünglich ging. Gayret bedeutet übersetzt Eifer, Hingabe Fleiß, Strebsamkeit. Früher waren die Töchter ein wichtiger Indikator für die Kultiviertheit der Familie. Wer anständige, fleißige und gebildete Töchter hatte, wurde respektiert und war angesehen.
Das Ansehen der Familien war wichtig, denn in der türkischen Kultur ist es noch heute so, dass nicht nur zwei Menschen heiraten, sondern man auch deren Familien und ihr Ansehen „mitheiratet“ und so prüfte man sich, bevor man sich ewig band…

Um also eine gute Partie für die Töchter zu finden, achtete man besonders auf deren Erziehung, Bildung und Benehmen. Wenn ein Mädchen dann heiratete wurde ihr der Gayret kemeri zum Symbol ihrer guten Erziehung, ihres guten Charakters und ihrer Bereitschaft eine gute Tochter und Ehefrau zu sein umgebunden. Man gab als Brautfamilie damit ein Versprechen an die Bräutigamfamilie, sein Bestes gegeben zu haben und eine gute Tochter zu übergeben und natürlich gehörte auch die Jungfräulichkeit der Braut dazu (wobei es damals auf der ganzen Welt üblich war, jungfräulich in die Ehe zu gehen). 

Gleichzeitig war das Band auch ein Symbol für die Verantwortung, die nun der Bräutigam und dessen Familie übernahmen. Die Brauteltern hatten für das Glück ihrer Tochter mit guter Erziehung etc. vorgesorgt und nun war es am Bräutigam und seiner Familie dies fortzuführen und das Glück der Braut sicherzustellen.

Wie der Gayret kemeri gebunden wird

Der Gayret kemeri wird der Braut am Tag der Hochzeit umgebunden, kurz bevor sie mit ihrem Bräutigam ihr Elternhaus verlässt. Als Oberhaupt der Familie wäre es die Aufgabe des Vaters, den Gürtel umzubinden, aber er kann und will es nicht, denn die Tochter aus dem Elternhaus zu entlassen ist der schwierigste Moment im Leben der Eltern.

Daher übernimmt der Bruder oder ein Onkel der Braut diese Aufgabe und bindet der Braut den Gürtel um. Jedoch ebenfalls nicht sofort, denn auch ihm fällt es schwer sie gehen zu lassen. Er bindet die Schleife und löst sie wieder, bindet und löst sie wieder, bindet und löst sie wieder – langsam und insgesamt drei Mal, bis er die Schleife endgültig fest bindet. Anschließend nimmt er die Hände der Braut und legt sie in die Hände des Bräutigams, womit er die Verantwortung für ihr gutes und glückliches Leben symbolisch in seine Hände legt. 

Gayret kemeri – ist das noch zeitgemäß?

Die Betrachtung der Tochter als „Gut“ oder Garant für Ansehen und Ehre einer Familie ist nicht richtig, das steht außer Frage. Gleichzeitig denke ich, dass viele Familien den Brauch gar nicht mit diesem Gedanken leben, da sie den Ursprung des Brauchs oft gar nicht kennen. Vielmehr wird das Umlegen des roten Bandes als Teil der Abschiedszeremonie während der Brautabholung gelebt. Dabei wird die Tochter und Schwester, die nun erwachsen ist und ihre eigene Familie gründet, von den engsten Familienmitgliedern verabschiedet. Es ist für alle Anwesenden, ganz besonders für Vater und Tochter, ein sehr emotionaler Moment bei dem beiden bewusst wird, dass nun ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

Wenn ich von einer Braut gefragt werde, ob sie den Brautgürtel tragen soll, ob das noch zeitgemäß ist als selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, dann empfehle ich sich selbst zu befragen, wofür man diesen Brauch zelebrieren will. Geht es um den „Abschied“ von der Familie, vom Vater?  Könnte sie sich auch anders verabschieden? Oder ist ihr die Symbolik der Gürtel Zeremonie wichtig (dass der Vater es nicht binden kann…)? Mit was verbindet die Braut den Gürtel? Mit was verbindet ihn die Familie? Fühlt sich beides gut und richtig für die Braut an? Ja? Dann sollte man als selbstbestimmte Braut sich für das entscheiden, was sich gut anfühlt und darauf pfeifen, was zeitgemäß ist und was nicht.

Pinar

 

9 Kommentare zu “Gayret Kemeri ~ was tatsächlich hinter dem Hochzeitsbrauch des roten Brautgürtels steckt

  1. Duygu sagt:

    Liebe Pinar,
    ein wunderbarer Artikel, ruehrend und informativ zugleich! Ich liebe diesen Blog und es sind Eintraege wie dieser, die mich daran erinnern, warum! <3
    Mein Freund und ich sind gerade in der Phase, in der sich die Familien kennenlernen. Bald wird um meine Hand angehalten werden. Ich bin total aufgeregt und freue mich darauf, mich im gesamten Prozess von diesem Blog inspirieren zu lassen!
    Beste Gruesse und keep on the good work!
    Duygu

  2. pinar sagt:

    Liebe Duygu,
    vielen lieben Dank für Deine wundervollen Worte, ich hab mich so sehr darüber gefreut!!
    Was für eine spannende und aufregende Zeit für Euch! Genießt es und haltet es fest – denn davon erzählt man später den Enkelkindern 🙂
    Ganz liebe Grüße, Pinar

  3. Kristina sagt:

    Liebe Pinar,
    ich lese sehr gerne deinen Blog (und habe mir für meine Hochzeit vor ein paar Wochen viel Inspiration geholt 😉 ) und bin auch trotz nicht-türkischer Abstammung und sehr an den Traditionen interessiert.
    Ich muss auch gestehen, dass ich mich zwar immer gefragt habe, was hinter dem schönen roten Gürtel steckt, ich das aber auch nur mit dem von dir angesprochenen „Unterdrückungsklischee“ in Verbindung gebracht habe.
    Jetzt, da ich deinen wunderschönen Post gelesen habe, finde ich diesen Braut ebenso wunderschön wie rührend. Das hast du ganz wunderbar geschrieben, vielen Dank dafür.

    Mach weiter so!
    LG, Kristina

  4. pinar sagt:

    Liebe Kristina,
    oh wie toll!! Alles Gute nachträglich zur Vermählung! 🙂
    Ich freue mich sehr, dass Du für Euren großen Tag hier Inspiration gefunden hast und wie schön, dass Du weiter vorbei schaust!
    Aber vor allem Danke für Deine lieben Worte, sie haben mich sehr happy gemacht!!!
    Ganz liebe Grüße, Pinar

  5. Büsra sagt:

    Das ist voll schön geschrieben ab jetzt werde ich es immer lesen obwohl ich erst 15 bin interessiert es mich sehr und dazu lernt man auch die eigene Kultur besser Danke das du so etwas machst und ich habe noch eine Frage hast du vielleicht eine App wo man das alles wunderschönes lesen kann ?
    Ganz liebe Grüße Büsra

  6. pinar sagt:

    Hallo Büsra, leider noch nicht, aber ist eine gute Idee 🙂

  7. Mina sagt:

    Hallo liebe Pinar + danke für diesen tollen Text. Meine Hochzeit steht bevor und auch ich habe mich mit diesem Thema auseinander gesetzt, nun mit deinen Worten und dieser Bedeutung, werde ich sehr stolz sein, diese Schleife tragen zu dürfen! Danke dafür!! Ich war sehr gerührt…

  8. S. sagt:

    Schöner und informativer Beitrag! LG 🙂

  9. pinar sagt:

    Vielen Dank! LG 🙂

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